Die Selbstoptimierungsfalle
Jahreswechsel und so. Vermeintlich die beste Zeit, um Abbitte zu leisten und Schwüre zu schwören. Ich weiß, ich weiß, ich lebe zu ungesund, schlafe zu lange, bin oft zu faul, kriege nicht immer alles gebacken, aber ich schwöre, ich schwöre, ab jetzt wird alles besser. In diesem neuen Jahr starte ich endlich, endlich durch mit der restlos optimierten Version von mir selbst…
Aber, Moment mal, wie wollte ich das nochmal genau anstellen? Antworten darauf finde ich – auf der Couch liegend und ganz bestimmt die allerletzten Kartoffelchips evvveeeer futternd – im Internet: An wirklich jeder Social-Media-Ecke lauern mir unzählige Blogs, Vlogs Instagram-Posts und Tutorials auf, die mir gnadenlos aufzeigen, wie ungenügend ich doch in so ziemlich allem bin, sodass ich am Ende mehr Antworten habe als sich mir in meinem ganzen Leben Fragen gestellt haben.
Motivierend ist das schon, während ich da so liege und der Berg von Chipskrümeln auf meiner Brust immer größer wird. Von Minimalismus über tägliche Routinen, wöchentliche Putzpläne, Intensivworkouts, Ernährungs- und Simplifying-Tipps bis hin zur besseren Organisation und Tricks, mir meine Augenbrauen richtig aufzumalen, als wären die nicht schon von Natur aus da. Überall sehe ich Menschen, die auf wundersame Weise immer in perfektem Brushlettering schreiben und bei denen auch sonst die ganze Welt in einem kuscheligen Pastellton gehalten ist. 17-Jährige, die quasi erst vorgestern den Sprung aus den Windeln geschafft haben – direkt vor die eigene Handykamera – und heute schon dem Rest der Welt erklären, wie man sein Leben erfolgreich organisiert.
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Aber was, beginne ich mich zu fragen, ist eigentlich mit uns Menschen im richtigen Leben, die wir richtige Jobs haben und manchmal einfach nur so richtig verkorkst und müde sind? Wir, die wir nicht im perfekt durchgestylten und organisierten Youtube-Universum leben, sondern in der richtigen Welt ganz ohne Weichzeichner? Da, wo dir Menschen in den Öffis gegenübersitzen, die in der Nase bohren und dann ihren eigenen Popel stundenlang am Finger begutachten? Kann man sich diese Welt tatsächlich mit dem perfekten Smoothie schöner saufen? Geht es mir wirklich auf Dauer besser, wenn mein Leben komplett durchgetaktet und gestylet ist? Sind manche Tage weniger nervig, nur weil ich mit dem perfekten Morgenritual aufgestanden bin?
Mag sein. Mein ganz persönliches Morgenritual zum Erfolg besteht momentan darin, froh zu sein, wenn ich nicht an der Zahnpasta ersticke. Wenn mir das gelungen ist, quäle ich mich mit kläglichen Geräuschen zur Kaffeemaschine. Es mag erbärmlich klingen und ja, ich glaube, die Nachbarn denken, dass bei mir ein Hirsch wohnt und sich jeden Morgen zur Paarungszeit meldet. Aber das bin ich und wenigstens bin ich in dem Moment ganz bei mir.
Und irgendwie ist es doch bei allem auch wichtig, ganz bei sich und sich selber treu zu sein, oder nicht? Ich meine, wie viel Ehrlichkeit steckt eigentlich hinter jeder perfekten Fassade und ist diese Fassade es wert, sich selber zu verleugnen? Planen wir am Ende nicht an uns selbst vorbei, auf der Jagd nach einem von außen auferlegten Perfektionismus, der uns in dieser unsicheren Zeit das Gefühl gibt, unser Leben wenigstens noch ein bisschen im Griff zu haben? Ist es nicht eher so, dass diese gehetzte Form der immerwährenden Selbstoptimierung per se eine Flucht ist, um sich nicht mit all den Dingen auseinandersetzen zu müssen, die weniger schön anzuschauen sind, aber auch Leben bedeuten und ein Teil von uns sind? Bin ich in dieser Beziehung noch glücklich? Tut mir diese Freundschaft noch gut? Fühle ich mich wohl in meiner Arbeit? Welche Folgen hat der Klimawandel?
Ich weiß nicht genau, ob Matchatee mir bei der Beantwortung dieser Fragen behilflich sein wird. Und wie sehr wir uns auch festhalten, bedeutet Leben auch mal den Griff zu lockern, die Hand zu öffnen und überhaupt nicht wissen, was als nächstes passiert. Leben ist sowas wie der verschüttete Kaffee auf dem perfekt illustrierten und durchgeplanten Bullet-Journal-Spread. Du kannst dich darüber aufregen, oder aber du nimmst es mit Humor und machst es zu einem Teil des Bildes.
Denn natürlich ist es großartig, sich Ziele zu stecken und gut auf sich und seinen Körper zu achten. Aber man sollte sich (und seine Augenbrauen) dabei nicht in eine Schablone pressen, sondern lieber einmal zuviel als zu wenig fragen: Ist mir diese Sache zur Erreichung meiner eigenen Ziele dienlich, oder mache ich mich selbst zum Sklaven einer Perfektionismusmaschienerie, der ich eh nicht genügen kann? Und falls du Letzteres mit ja beantwortest, dann tritt die einzig wahre Selbstoptimierungsregel in Kraft, die du brauchst: Finde heraus, welche Frage dahinter steckt, welchem Thema du versuchst auszuweichen. Und wenn du das für dich herausgefunden hast, dann schnapp dir so viele Powerriegel und Superfoods, wie du finden kannst, denn du wirst Kraft brauchen. Kraft, die Dinge abzuschütteln, die dich runterziehen und Kraft, Menschen loszulassen, die dir nicht guttun. Hab aber keine Angst, so ehrlich zu dir selbst zu sein und stell dich ruhig den Herausforderungen, denn du wirst sehen my Darling: Dann startest du endlich, endlich durch mit der restlos optimierten Version von dir selbst…