Nie mehr zu scheitern ist auch keine Lösung
Das neue Schuljahr ist noch jung, ganz im Gegensatz zu mir, wie ich neulich feststellen musste. Beim Durchlesen eines neuen Dienstvertrages habe ich neulich ziemlich gestutzt. Fast 10 volle Jahre Vordienstzeiten wurden mir da angerechnet. Mein erster Gedanke: Das muss ein Fehler sein. Das wird ich denen wohl melden müssen. Aber als ich begonnen habe, nachzurechnen, wurde mir klar: Das ist kein Fehler. Damals, mit 23, habe ich angefangen.
Boah, war das damals aufregend. Einerseits hatte ich zwar gedacht, dass ich mit meinem Magistertitel in der Tasche die Königin der Welt wäre – MINDESTENS! – andererseits hatte ich furchtbare Angst, oder sagen wir besser Ehrfurcht, vor all meinen Aufgaben.
An meinem ersten Arbeitstag sagte mein damaliger Chef: „Hab keine Angst vor Fehlern. Wo viel gearbeitet wird, passieren auch Fehler!“. Und ja, ich habe für den Rest meiner 20er sehr viel gearbeitet und ja, da sind auch Fehler passiert. Und Reibungen. Und Konflikte. Und obwohl mich damals alles so wahnsinnig gestresst hat, denke ich heute sehr gern an die anfänglichen Jahre meiner Berufstätigkeit zurück. Alles war eben neu. Jedes weitere Projekt wie eine völlig neue Welt, auf die ich mich voll eingelassen habe. Und wenn eins erledigt war, war ich schon wieder mittendrin, ein neues aufzubauen. Zwischendrin hab ich mich fortgebildet und insgesamt hatte ich das Gefühl, dass ich mich in meiner Arbeit jeden Tag ein wenig weiterentwickle.
Seit 2 Jahren spüre ich es nicht mehr. Es gibt nur wenig, das mich jetzt noch vom Hocker haut. Natürlich passieren in meinem Job immer wieder neue Dinge, ich merke aber, dass nichts davon mehr wirklich neu für mich ist. Irgendwie ist das ja auch ganz angenehm, aber ab und zu steigt sie wieder in mir hoch, diese saure Blase, die mich an all die wagemutigen Träume und Ziele erinnert, die ich mich nie zu leben getraut hatte, oder für die ich schlicht keine Zeit mehr hatte.
Und im gleichen Atemzug kommt ein Gedanke, der diese Blase in alle Einzelteile zerfetzt: „Es ist zu mühsam/zu spät/zu anstrengend/zu verwegen jetzt nochmal was Neues zu beginnen.“ Dann ist erst mal Ruhe, aber nur bis die nächste Blase hochkommt. Irgendwie wird sie mit jedem Mal noch größer und noch saurer.
Das neue Schuljahr ist noch jung, ganz im Gegensatz zu mir, aber ich habe jetzt was verändert. Es sollte für mich, so habe ich mir das vorgenommen, das Jahr der ersten Schritte werden. Ich wollte meinen verborgenen Träumen nachgehen, indem ich einen ersten Schritt auf sie zu mache. Schließlich beginnt doch alles mit dem ersten Schritt, oder?
Und so kommt es jetzt öfter mal vor, dass ich stillschweigend vor mich hinlächle und denke: „Ohhhhh Gott, ich kann nicht fassen, dass ich das echt getan habe!“. Oder es kommt vor, dass ich mich total schäme, weil etwas überhaupt nicht funktioniert hat. Es kommt auch vor, dass ich alles von mir werfe und denke, das wird eh nie was. Und dann kommt es vor, dass ich alles wieder aufsammle, durchatme und weitermache.
Ich glaube nicht daran, dass Erwachsene wirklich schlechter lernen als Kinder. Ich halte dies für eine Ausrede, ab einem gewissen Alter nicht mehr über sich hinauszuwachsen, nichts Neues mehr zu probieren. Wir lernen vielleicht langsamer, und vielleicht lernen wir ganz anders, das mag sein. Aber einen Vorteil im Vergleich zu Kindern haben wir allemal: Wir können auf zahlreiche erfolgreiche Lernerfahrungen mit all ihren krisenhaften und schwierigen Phasen zurückblicken. Eigentlich, so meine ich, sollte uns das doch eher motivieren, oder nicht?
Was in Wahrheit zwischen uns und dem Einlassen auf etwas Neues steht sind meiner Meinung nach zwei Dinge: Trägheit und Stolz. Gerade WEIL wir wissen, wie mühsam und aufreibend Lernprozesse sein können, sind wir irgendwann zu bequem, uns nochmal auf so etwas einzulassen. Denn eins ist schon von Vorneherein klar: Lernen bedeutet immer auch Scheitern. Und erfolgreich gesettelt wie wir eben sind, möchten wir nicht mehr so gerne scheitern. Wir sind nämlich, nach allem, was wir hinter uns haben, auch ein bisschen zu stolz, unser Gesicht zu verlieren. Lieber gar nicht erst probieren, als festzustellen, dass man es einfach nicht kann, oder?
Klar, wenn man etwas Neues probiert und der Stimme in seinem Herzen ein wenig nachgibt, dann kann es einem schon mal so gehen wie mir in diesem jungen Jahr. Dass man sich die Bettdecke über den Kopf zieht und denkt man stirbt gleich vor lauter Peinlichkeit, weil etwas nicht so geklappt hat, wie man es sich vorgestellt hat. Dass man sich vornimmt, es sicher nie wieder zu probieren und alles am liebsten löschen will, weil alles so schiefgegangen ist. Dabei sind es doch, bei all dem monotonen Alltagsgedöns, an das wir uns so schön gewöhnt haben, gerade diese Momente, in denen dein Herz flüstert: „Willkommen zurück im Leben!“
Dieser Text erschien zuerst auf www.provinnsbruck.at