Gequält stehe ich vor dem Spiegel. Mein ganzer Organismus schreit mich an. Er will, dass ich mich zurück ins Bett lege und die Decke weit über den Kopf ziehe. Und dennoch stehe ich hier, obwohl ich es kaum schaffe, mich aufrecht zu halten.
Jahreswechsel und so. Vermeintlich die beste Zeit, um Abbitte zu leisten und Schwüre zu schwören. Ich weiß, ich weiß, ich lebe zu ungesund, schlafe zu lange, bin oft zu faul, kriege nicht immer alles gebacken, aber ich schwöre, ich schwöre, ab jetzt wird alles besser. In diesem neuen Jahr starte ich endlich, endlich durch mit der restlos optimierten Version von mir selbst…
Der Zauber ist vorüber. Das Glitzern und Funkeln der Weihnachtszeit ist verflogen und auch der Schwefelgeruch nach dem Feuerwerk in der Silvesternacht berührt dich irgendwie nicht mehr. Sehnsüchtig denkst du daran zurück, wie aufregend das alles früher war.
Du willst eigentlich nur nach einem langen Tag in Ruhe nach Hause kommen und es dir gemütlich machen. Du bist schon fast am Ziel, kannst die Haustür schon von Weitem sehen. Plötzlich bleibst du stehen, denn da ist er. Da, vor deiner Tür hängt er rum und wartet auf dich. Du kannst ihn förmlich aus der Dunkelheit leuchten sehen. Noch bist du zu weit weg, um Genaueres zu erkennen. Das ist auch nicht nötig, denn du weißt jetzt schon, welche Konsequenzen das für dich haben wird.
„You’re my heart, you’re my soul – hit me baby one – HOW MUCH IS THE FISH“ – das ist also er also, der Soundtrack, den mein Kopf irgendwo im Hintergrund abspielt, während ich auf der Suche nach innerer Ruhe bin.
Normalerweise bin ich ja eher impulsiv. Das ist die charmante Umschreibung für dauernd genervt und ungeduldig. In Wahrheit halte ich andere Menschen die meiste Zeit über gar nicht aus und lasse sie das nicht selten durch Empörungsgeräusche und Vorwurfsblicke spüren. Auf dem Weg zur inneren Weisheit, zu einem höheren spirituellen Ich ist mir aber klar geworden, dass ich selbst darunter mehr leide als andere. Also habe ich beschlossen, dem Jähzorn ein jähes Ende zu setzen, und mich auf die Reise zu mehr Ausgeglichenheit, zu innerer Balance und spirituellem Reichtum begeben.
Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du mich einfach so stehen hast lassen. Einfach so. Du bist an mir vorbeigezogen, als würde ich für dich nicht existieren. Als wäre ich nichts für dich. Da stand ich, völlig aus der Puste und konnte dir nur noch nachschauen – atemlos und fassungslos.
Also ganz unter uns gesagt: Ich hab‘ ja nichts gegen Radfahrer. Viele von meinen besten Freunden sind Radfahrer. Aber es gibt nun mal Dinge, die dringend gesagt werden müssen. Reale Probleme, die in den Medien konsequent verschwiegen werden.
Dass man es als Frau oft schwer hat, das wissen wir bereits. Dauernd muss man irgendeinem perfekt gephotoshopten Ideal nacheifern, das man – realistisch betrachtet – eh nie erreichen wird. So gesehen könnte man diese ganze Zeit und den Aufwand ja auch darauf verwenden, einfach mal mit sich zufrieden zu sein. Je älter ich werde, desto eher finde ich mich damit ab, einfach nur eine Durchschnittsfrau zu sein. Ist irgendwie entspannter. Dass es aber heutzutage verdammt hart ist, einfach nur als Otto-Normal-Vedrbraucherin (bitte wie gendert man das richtig? – Frieda-Normal-Verbraucherin?) durch die Welt zu rennen, merkt man spätestens beim Kosmetikeinkauf.
Kennst du das Gefühl auch? Wenn du feststellst, dass du eigentlich ziemlich alt geworden bist? Wenn du plötzlich checkst, dass die Jahrtausendwende auch schon wieder 16 Jahre zurückliegt? Wenn du plötzlich meinst, dass das Leben viel zu schnell an dir vorbeizieht? Fragst du dich dann auch manchmal, wo die ganze Zeit nur geblieben ist? Ich verrate es dir: Du hast sie in vollkommen sinnlosen Meetings vergeudet.